PARADIGMENWECHSEL IN DER GESCHICHTE DER STANDSICHERHEIT
Das Jahr 2006 markiert einen Paradigmenwechsel in der Geschichte der Prüfungen von Standsicherheit. Bevor es nämlich zu jenem schrecklichen Unglück kam, dem Einsturz der Dachkonstruktion der Eislauf- und Schwimmhalle Bad Reichenhall am 2. Januar 2006, hatte eine politische Auffassung an Gewicht gewonnen, die eine weniger strikte Kontrolle der Standsicherheit von Bauten für sinnvoll hielt.
In Bayern sollten vereinfachte Bauordnungs- und genehmigungsverfahren für schnellere Prozesse und geringere Kosten sorgen. Sogar das strikte „Vier-Augen- Prinzip am Bau“ sollte gelockert werden. Doch dann brach das Dach der gut 30-jährigen Mehrzweckhalle ein, 15 Menschen kamen dabei ums Leben, und es setzte ein Umdenken ein. Eine Folge davon waren die „Hinweise für die Überprüfung der Standsicherheit von baulichen Anlagen durch den Eigentümer bzw. den Verfügungsberechtigten“ durch die Bauministerkonferenz der Länder (ARGEBAU), die 2010 weiterentwickelt wurden. Die Maßnahmen sind unter dem Begriff „VDI-Richtlinie 6200“ gebündelt.
Für Verwaltungsgebäude, Schulen, Kindergärten, Schwimmbäder, Sporthallen und -stadien, Fabrikgebäude, Einkaufszentren oder andere Gewerbeimmobilien liegt die Verantwortung für die Stand- und Verkehrssicherheit beim Bauherrn oder Eigentümer/ Betreiber. Wen betrifft das? „Meist handelt es sich um Holz-, Stahl- oder Stahlbetonkonstruktionen. Ein einfacher Richtwert für übliche Hallen ist eine Spannweite der Dachkonstruktion von zwölf und mehr Metern“, fasst Andreas Stumpp, Bauingenieur bei der LGA, die in Frage kommenden Gebäude zusammen.
Für die Betreiber gibt es keine einer Hauptuntersuchung bei Autos vergleichbare Meldeverpflichtung, doch sie sind für die Sicherheit der Bauten zuständig und es werden Prüffristen empfohlen. In vielen Fällen wird alle 12 Jahre eine eingehende Prüfung vorgeschlagen und dazwischen alle 4 Jahre eine Inspektion. Eine Begehung durch den Eigentümer selbst ist zwischen den Inspektionen vorgesehen. Je nach Zustand und Nutzung können die Prüffristen auch abweichen. Solche Aufträge erhält die LGA regelmäßig, allein Stumpp prüft etliche solcher Bauten pro Jahr. Zuerst müssen Pläne beschafft, begutachtet und anschließend die Dachkonstruktion von oben und unten gründlich untersucht werden.
Mittels einer Hebebühne kann Stumpp die Dach- oder Deckenkonstruktion handnah von unten erreichen. Je nach Material sind unterschiedliche Beeinträchtigungen durch Nässe, Feuchtigkeit, starke Temperaturschwankungen etc. zu erwarten. Aber auch von vornherein falsch gebaute Dachkonstruktionen haben zu Schäden geführt. Holzkonstruktionen („ein sehr wertiges, aber anfälliges Baumaterial“) neigen dazu, Risse auszubilden, Stahlkonstruktionen und Schraubenverbindungen korrodieren. Dringen beispielsweise bei Parkhäusern oder Tiefgaragen Tausalze in den Beton ein, ist meist mit weitreichenden Beeinträchtigungen zu rechnen. „Das Ergebnis der Untersuchung ist ein ausführliches Gutachten, das auch Handlungsempfehlungen enthält“, so Stumpp. „Ich gehe nach dem Ampelsystem vor: grün, grün-gelb, gelb, gelbrot und schlimmstenfalls rot“, fasst er die fünf Bewertungsstufen zusammen. Je nach Kundenwusch ist auch ein Bewertungssystem mit den Zahlen von 0 bis 4, wie es bei Brückenprüfungen verwendet wird, möglich.
Im äußersten Fall muss dem Betreiber nahegelegt werden, die Nutzung eines Gebäudes auch mal einzustellen – eine Schadenssituation, die Stumpp in seiner langen Laufbahn nur drei oder vier Mal erlebte. Ebenso wichtig sind die ausführlichen Fotodokumentationen, die der Kunde erhält. Sie dienen auch als Grundlage für erneute Aufträge im Rahmen dieser „Wiederkehrenden Bauwerksprüfungen“.
GEBÄUDE, DIE NACH VDI 6200 GEPRÜFT WERDEN
- Sport- und Mehrzweckhallen
- Messe- und Konzerthallen, Kongresshallen
- Parkhäuser und Tiefgaragen
- Hallen- und Freizeitbäder
- Industriehallen
- Kirchen
- Vorgehängte Fassaden